Es war einmal …
… ein fleißiger, rühriger und immer auf Achse unterwegs seiender undertaker.
Das Telefon steckte damals noch nicht in der Hosentasche, aber klingeln konnte es schon, auch nachts, vor allem nachts.
„Chef, wir müssen raus, in der Südvorstadt muss eine Frau Rüsselschwanz-Dickfinger abgeholt werden“. Bei einer Hausabholung lässt man die Angehörigen lieber nicht ewig warten; oft hatten sie schon zu Lebzeiten ihren Drasch mit den alternden, dementen und meist kranken Familienmitgliedern. Und auch nach dem Ableben von Oma oder Opa ist noch genug zu tun, denn nicht alles kann der Bestatter abnehmen. In stinkenden Wohnungen reicht das Lavendelspray nun mal nicht aus.
Die Südvorstadt ist erledigt, in der nächsten Nacht gehts ins Zentrum und weitere vierundzwanzig Stunden später kreuzte der Gardinen-bespannte Mercedes in der Mannheimer Ostgegend rum. Solch ein Rhythmus hinterlässt Spuren, eher tiefe Furchen – und er schlaucht. Spätestens wenn der Kundencognak die eigene Seele auf Vordermann bringen muss, ist die Zeit des Umdenkens angebrochen. Der undertaker wird zum underdog.
Anonym, besser pseudonym werden die Erlebnisse der Mannheimer Nachtausflüge den künftigen Unterhalt sichern. Sie müssen nur zu „Papier“ gebracht und so unter die Leute gestreut werden, dass einem die plastisch aufgebohrten und künstlerisch gestreckten „Wanderjahre“ als echt, wahr und „genau so“ abgenommen werden. Der Rest kommt von allein – vielleicht.

Einige Lichtjahre, mehre Bücher, Rundfunk- und TV-Auftritte später kommt eine Anfrage aus Leipzig. Wieder mal aus Leipzig. Und mal nicht vom mdr, dem Mitteldeutschen Rundfunk. Nein, ein kleines, familiengeführtes Bestattungsunternehmen hat sich in den Kopf gesetzt, Deutschlands wohl bekanntesten schriftstellernden Ex-Bestatter in seiner neuen Trauerhalle lesen zu lassen. Lesen und talken, schwätzeln und Fragen beantworten; es wird sich schon ergeben, was am besten geht. Immerhin ist das Haus voll und die zusätzlich gestellten Stuhlreihen sind das Alibi für einzelne unbesetzte Plätze.
Der publizierende Ex-Bestatter hat sie alle noch drauf, die Geschichten die seinerzeit den Nachtschlaf geraubt haben. Und er bringt sie souverän, ehrlich und trotzdem locker-flockig rüber. Obwohl Oma Gretel den Stoffel nie kennengelernt hat, die Leute lachen sich scheckig, Beifall alllenthalben.
Wer will da schon die komma-genaue Wahrheit der spannend-aufgebohrten Wirklichkeit gegenüberstellen? Eddie Clontz hat es damals auf den Punkt gebracht gehabt, wozu eine gute Story durch Recherche kaputtmachen? Eben.
Nach fast drei Stunden setzt der Bass wie abgesprochen punktgenau zur Geschichte ein und irgendwie ist damit doch tatsächlich der Höhepunkt erreicht. Ein phantastischer Schlusspunkt, der förmlich Zugaben ausschließt. Wenn es am schönsten ist …
Auch 2014 gibt es in Leipzig eine Buchmesse.
Auch 2014 erscheinen lesenswerte Bücher und
auch 2014 werden wir hoffentlich Peter Wilhelm in Leipzig begrüßen könnnen.
Das Interview: [podcast, 7:59min]
Setup und line up::
Peter Wilhelm – vorlesender Publizist und Schriftstelller
Richard Mauersberger – Klavierbegleitung
Ayako Tanaka und Tomohiro Yoshioka – Klavier und Bass (Orchester der MuKo)
Interview: Peter Wilhelm und casus
(c)casus. 2013 (aus le-blog.de)
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