Der Tod ist ein Phänomen unserer Zeit.
Sterben mussten die Menschen schon immer – Unsterblichkeit bleibt den Göttern vorbehalten. Aber Sterben und Tod gehören nicht zusammen. Würde Pfarrer Zinnowitz jetzt hier an meiner Stelle stehen, sagte er möglicherweise: „Sterben ist kein Beinbruch. Der Mensch muss sterben, wenn er in den Himmel; wenn er in Gottes Reich aufgenommen werden will.“
Leider habe ich noch immer keine Zeit gefunden, einen seiner Gottesdienste zu besuchen, seine Predigt zu verfolgen und mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Das oft, zu oft, entbehrungsreiche Leben unserer Eltern und Großeltern, fand im Sterben seinen letzten, zwangsläufigen, einen gewollten Höhepunkt. Es war kein Abschied im Sinne von unendlicher Trauer, es war der Beginn eines himmlischen, postirdischen, gottesnahen Lebens.
Ihre Eltern und Großeltern haben bestimmt früher in dieser Weise gesprochen. Nicht der Tod, sondern das Sterben war das Ende des Lebens. In der heute sich so aufgeklärt gebenden Gesellschaft haben sich unsere Empfindungen gewandelt. Wir befürchten, dass mit dem Sterben der Tod eintritt. Das Ende dessen, was wir als Leben, als Leben unter Gleichgesinnten, als Dasein betrachten.
Wir fürchten uns vor diesem Zeitpunkt und wir befürchten, alle Liebe, alles Hab und alles Gut zu verlieren. Die Befürchtungen sind nicht unbegründet.
Wir lieben das wirkliche Leben und seine Annehmlichkeiten und wir befürchten das unbekannte, unwirkliche Leben, das Leben nach dem Sterben.
Wir fürchten uns vor dem Tod.
Wir glauben, wir sind tot.
Ich bin gestern auf dem Fischländer Friedhof von Wustrow auf dem Darß gewesen und habe nach Spuren vergangenen Lebens gesucht.
Der Friedhof wurde 1832 angelegt als der Kirchplatz nicht mehr ausreichte. Und wie fast jeder Friedhof in Deutschland musste er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erweitert werden. Die Zeugnisse der Mitte des 19. Jahrhunderts Verstorbenen sind allenthalben sichtbar. Nicht ihre Grabstellen werden weiterhin gepflegt, wohl aber die Grabsteine mit den noch gut lesbaren Inschriften haben überlebt. Sie stehen und liegen ungeordnet an der prächtigen, 1859 errichteten Friedhofsmauer. Mitunter vermittelt dieses endgültige Schicksal den Eindruck von Gemeinsamkeit, von friedlichem Neben- und Miteinander. Die Natur lässt diese Zeugnisse früheren Lebens zusammenwachsen. Starke Äste und grüne Zweige wirken wie Dutzende Hände, die sich die Steine in ihrem ewigen Dasein reichen.
Zweihundert Jahre reichen nicht, um tot zu sein.
Das Leben ist ein Phänomen unserer Zeit.
Foto & ©casus. 2013
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