Die Sonne ist auf unserer Seite. Auch wir brüteten gerade mit dem hiesigen Lokal-TV über die upcoming Werbestrategie, über Inhalte und Umfang der Zusammenarbeit in den nächsten 6 Monaten.

Da stand er plötzlich in der Tür. Jorge.
Jorge studiert Geografie an der Leipziger Universität. Im letzten Semester. Mit Bachelor-Abschluss.
Den studentischen Nachwuchs zu fördern, das ist auch unsere Intention. Die Jugend soll es schließlich richten. Irgendwann einmal.
Wir verabschieden uns also von unserem Medienpartner. Es war alles gesagt und besprochen. Unterschrieben wird später. Auf Büttenpapier oder digital zertifiziert. Wir gehen ja mit der Zeit.
Übrigens auch so eine für Bürger mit Migrations-Vordergrund unverständliche Redewendung: Wir gehen mit der Zeit. Natürlich gehen wir, alle gehen wir, wenn es Zeit ist, unsere Zeit gekommen ist.
Es ist anders gemeint. Wir stellen uns den Anforderungen, wir sind zeitgemäß, modern, auf der Höhe …
Mir fällt dann immer ein, wie ich einem ausländischen Kommilitonen den Begriff „überholen“ erklären musste. Ich stotterte mir etwas zusammen.
Du fährst mit deinem Auto in die Werkstatt und sagst zum Meister, er möge das Fahrzeug überholen. Der steigt in seinen Porsche und meint, auf geht’s, ab auf die Autobahn … – Nein, du wiederholst, das Auto ist defekt, er möge es reparieren, auf den neuesten Stand bringen, naja, überholen eben. – Nein, sagt der Meister mit bitterer Mine, das Auto kann ich nicht überholen, das ist überholt. Kaufen sie ein neues …
Unser TV-Kollege hat den Parkplatz mit seinem gut überholten Audi verlassen und wir widmen uns dem studentischen Nachwuchs.
Die Bachelor-Arbeit also steht an. Jorge trägt Informationen über inzwischen nachhaltig bebaute ehemalige Industrielandschaften und Industriebrachen in der Stadt Leipzig zusammen, will wissen, warum wir gerade hier auf dem Gelände eines ehemaligen Druckfarben-VEB neu bauten.
Standortnähe, Größe, Kaufpreis, Stadtsanierung – alles schneidet sein elektronisches Gedächtnis – ein kleiner Audiorecorder – unmissverständlich mit. Es ist auch alles schnell gesagt und notiert.
Nun sind wir dran. Wie viele derartige Brachen gibt es in Leipzig? Wer wird noch alles befragt? Wer wurde schon interviewt? Wann muss die Arbeit fertig sein?
Für meine Diplomarbeit hatte ich seinerzeit ein Semester Zeit, dafür war es eine kleine Doktorarbeit geworden. Nicht von der Qualität, wohl aber vom Aufwand her.
Jorge rückt mit der Sprache raus. Am 23. August muss die Arbeit abgegeben werden! Heute ist der 7. August. Und wir sind Gesprächspartner Nummer 2. Selbst mit Tag-und-Nacht-Arbeiten wird wohl am Ende nur eine kleine Hausaufgabe herauskommen. Oder er zaubert. Soll es ja geben.
Jedenfalls drücken wir ihm die Daumen. Tut nicht weh und hilft wohl auch nicht.
Die Sonne hat sich inzwischen etwas verzogen. Zeit zum Brüten unter Normalbedingungen.
Jorge kann es gebrauchen.
©casus. 2013
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