Rechts ran. Rechts ran.
Das Martinshorn zweihundert Meter hinter uns ist nicht zu überhören. Aber es sind vertraute Klänge. Leipzigs Straßen werden regelmäßig beschallt.
Nur in Leipzig? Wohl kaum. Das ist das Leben. Manchmal steht das Leben auch neben sich.
Immer dann, wenn sich Jahrzehnte alte Tradition bewährt und trotzdem von Jetzt auf Nachher über den Haufen geworfen wird.
Heute früh um 6 beendet das verdammte Telefon meine Nachtruhe. Ihr wisst schon, Marko ist dran, wir müssen los. Das ungemütliche, nasskalte Wetter der letzten Tage fordert offenbar seinen Tribut. Menschen, die sich an der Schmerzgrenze des Lebens an Sonne und Wärme festklammern, verlieren in dieser Situation ihren letzten Willen. Die wichtigsten Organe folgen und kurz darauf – muss Marko anrufen.
Wir sitzen bereits in unserem Dienst-Benz, dem man schon rein äußerlich seine Wichtigkeit erahnt. Wir sehen das auch so. Die anderen Verkehrsteilnehmer an diesen Samstagmorgen sind wohl mehrheitlich anderer Meinung. Vor uns wird geschnitten, ohne Blinken die Spur gewechselt, unmotiviert gebremst und bei Hellgelb eine Vollbremsung hingelegt. Das volle Programm. Sollte man meinen.
Außer vielleicht, dass das angegebene Ziel in einer ganz anderen Stadt als der unsrigen liegt. Da hat wohl jemand noch gepennt am Notruftelefon? Denn auch die Telefonnummer des anzusteuernden Hilfsdienstes ist falsch – oder besser; unvollständig.
Schreckt uns alles nicht wirklich ab. Die genannte Straße gibt es nur in Halle, jetzt wieder „an der Saale“. Noch vor wenigen Tagen hätten wir uns nach Halle in der Saale durchkämpfen müssen. Das ist glücklicherweise Geschichte. Vorerst.
Kurz vor Halles Stadtmauern – wie aus dem Nichts – ist es wieder da. Das vertraut-geglaubte Blaulicht-Signal. Oder doch nicht? Es klingt eher, als würden Crockett und Tubbs aus Miami Vice oder Ltn. Kojak uns von der Straße schubsen wollen. Und tatsächlich. Die hiesige Eilig-hab-und-immer-schnell-fahr-Polizei rüstet auf US-amerikanisches Sirenengeheul um.
Wir fahren trotzdem, bereitwillig gehorchend, rechts ran. Unbedacht, wie sich kurz darauf herausstellte.
Urplötzlich hätten wir das Dachgejaule selbst gebrauchen können.
Die Autobahnausfahrt wird von einem Vier-Meter-breiten Rasenkantenmäher blockiert und die beiden Kleinwagen vor uns trauen sich nicht an ihm vorbei.
Ehe wir eine ungeplante Fünfzehn-Minuten-Rauchpause einlegen müssen, bitte ich beide Fahrer wenigstens die linke Straßenseite freizugeben, sich hinter dem Rasenfrisierer anzustelllen und uns vorbei zu lassen..
Danke. Sie tun wie geheißen.
Zum wiederholten Mal stelle ich fest, mit Blaulicht wär das nicht passiert. Auch nicht mit Blaulicht und Navi-CIS-Sirene. Aber null Chance, die StVO kennt uns nicht.
Schwarzlicht.
Die Rettung.
Der Bundestag möge beschließen:
„Bestatter-Fahrzeuge im Dienst sind flächendeckend mit Schwarzlicht und Einsatz-Sirene auszurüsten. Der entsprechende Passus ist in der StVO nachzutragen.“
Damit nie wieder Hinterbliebene am Bett eines Verstorbenen über Gebühr lange warten müssen.
Dafür lohnt sogar der Weg zur Wahlurne. Denn ein nicht-arbeitsfähiger Bundestag beschließt auch keine noch so begründeten Sonderwünsche. Und Oma Anna wird weiter auf den Lang-Benz warten müssen.
Mit oder ohne Martinshorn.
©casus. 2013.
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