Es ist der heißeste Tag des Jahres.
Das Bordthermometer zeigt 34,8 Grad an und ist gut gegen Sonne gesichert im Heckbereich der Undine angebracht. Das Schiff liegt an der Pier am Neuen Strom in Rostock-Warnemünde. Die Besatzung, zwei Kapitäne, ein Maschinist, ein Decksmann. Alle geschniegelt und gebügelt. Die Uniformen jedenfalls.
Undine ist noch keine vier Wochen alt. Gebaut im polnischen Swinoujscie und schon jetzt das Flaggschiff der Rostocker Seebestatter um die Kapitäne Lohmannn und Brandt.
Wind 1, beinah spiegelglatte See. Lediglich die vor 30 Minuten ausgelaufene AIDAmar hat das Meer leicht aufgewühlt und der erbarmungslos strahlende Planet über uns, der eigentlich ein Stern ist, lässt seine Strahlen leichtfüßig auf den kleinen Wellen tanzen.
Einen Blick haben wir dafür kaum…
Zwei Seemeilen vor der Küste, die Skyline Warnemündes ist noch zu ahnen, haben wir die Zielposition erreicht. Hier finden Seeleute und Landratten ihre letzte Ruhestätte. Wenn sie es denn möchten.
Es fragt niemand mehr danach, ob die oder der Verstorbene einen wirklichen Bezug zur See hatte oder vielleicht nur einmal im Urlaub einen Goldfisch im Aquarium gefüttert hat.
Die Seebestattung hat ihren Platz inmitten der Gesellschaft gefunden und wird diesen in Anbetracht der steigenden Folgekosten landseitiger Friedhöfe eher ausbauen denn verteidigen.
Die Undine ist auf alles vorbereitet.
Von der anonymen Bestattung bis zur Begleitung durch 80 hinterbliebene Angehörige und Freunde, von der Trauerfeier durch den Kapitän oder einen seefesten Pfarrer – den blau-weiß-schwarzen 400-PSer lässt die Zeremonie kalt. Für uns dagegen ist der Akt der Beisetzung ergreifend, denn auch wenn die genaue GPS-Position dokumentiert wird, Christel wird nie wieder Besuch empfangen können.
Mir kommen während der circa dreißig minütigen Fahrt auf See noch einmal Gedanken an eine kürzliche Beisetzung an Land auf. Eine Friedhofsverwaltung hatte stellvertretend für den Pfarrer das Wort Gottes durch den Seelsorger verwehrt. Was mich damals zunächst schockierte -> Keine Worte für Alfred. Der Verstorbene war nicht oder nicht mehr Mitglied der Gemeinde. Später musste ich mich mehrfach eines Besseren belehren lassen. Der Tenor der Aussagen: auch ein ausgetretener Kaninchenzüchter muss auf Leistungen des Vereins verzichten. Und – auch die Pfarreien sind in der materiellen Welt angekommen. Personelle und finanzielle Ansprüche müssen dem Wort Gottes angepasst werden.
Wenn kirchliches Handeln beim Gottesdienst oder der Bestattung „…im Namen Gottes“ spricht, so muss es um die Herauslösung und quasi Loslösung ihres Anspruchs religiöser Bindungen aus einer säkularisierten Welt wissen.
Wenden sich Menschen von der Kirche ab, kann dies unterschiedlichste Ursachen haben. Nach meinen Erfahrungen jedoch werden diese Menschen keineswegs unreligiös. Im Gegenteil. Sie beschränken ihre Gläubigkeit nicht mehr auf den sonntäglichen Gottesdienst. Sie leben die „Gemeinde“ in ihrem Alltag und nicht nur zu kirchlichen Gemeindeveranstaltungen.
Es wird immer wieder behauptet, die Gemeinde sei vor allem in größeren Städten nicht mehr da. Die Kirche aber geht weiterhin davon aus. So muss die Selbstverständlichkeit des christlichen Glaubens den gläubigen Menschen auch wahrnehmen. Die Form seiner Bindung an das Evangelium ist unerheblich.
Ist dieser Schritt vollzogen, anerkennt kirchliches Handeln und Reden den gläubigen Menschen bei der Bestattung, dann wird der Ausschließlichkeitsanspruch, wie wir ihn bereits erlebt haben, relativiert. Der verstorbene Mensch erfährt die Milde und Großzügigkeit eines nicht entfremdeten Glaubens.
Am Sarge eines Menschen entscheidet sich, ob Gott oder Theos Thanatos die Oberhand gewinnen und der Reise in die Ewigkeit beiwohnen.
Aber ich schweife ab, auch auf See bleibt die Uhr nicht stehen.
Die Undine hat eine Ehrenrunde gedreht, 8 Glasen aus der Schiffsglocke bezeugen den vollzogenen Beisetzungsakt. Noch bevor wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, werden sich Christels leibliche Überreste mit dem Meer vereinigt haben.
Die Wellenreiterin ist angekommen.
Mit dem Sterben endet das Hiersein.
Der Tod ist das Ende des Sterbens und der Übergang zum Dasein.
Das Leben ist nicht an Mensch und Natur gebunden.
Das Leben ist unsterblich.
(c)Foto & Montage: Casus, Text: Theos Thanatos
Bei einigen Gedanken habe ich mich von Rohden Wilhelm und Horst Lahr inspirieren lassen. Siehe auch ‚Wasser, Ring und Erde‘ Handreichung für Lehre und Ordnung in Taufe, Trauung u. Bestattung.
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